Samstag, 3. Februar 2007

wie du mir...

Liebe geneigte Leser,

es ist wieder Zeit für einen Roman. So viel wie ich erlebe komme ich kaum hinterher für Euch darüber zu berichten. Doch laut der vielen E-Mails und Postkarten wollt Ihr es so?!

Das Wichtigste zuerst: in den letzten Tagen sind fünf weitere ausländische Studierende hier im Haus angekommen: Jean-Baptiste und Fabienne aus Frankreich, Villma aus Litauen, Debora aus Italien und Steffen aus ratet mal. Gestern gab es ein großes Nudelessen um alle willkommen zu heißen und ich habe mich schon wie ein "alter Hase" gefühlt. Wir haben beschlossen gemeinsam erst die Hochschule, dann Gjövik und dann Norwegen zu erobern, denn langsam sind die Einheimischen in der Minderheit... Nächste Woche Mittwoch beginnt der Norwegisch-Kurs, dann werden wir mit dem infiltrieren beginnen ;-)

Doch um die Norweger in Sicherheit zu wiegen musste ich noch ein bisschen "gute Miene" machen, denn am Donnerstag hatten Bruno, unsere Patin und meine neue Freundin Katharina und ich einen Interview-Termin mit der hiesigen Studentenzeitung. Wobei "Interview" fast zu viel gesagt ist, weil dieses sich auf die drei Standard-Fragen beschränkte:
1. Was magst du an Norwegen?
2. Was vermisst du am meisten?
3. Was denkst du über die Hochschule?
Ähh, ja! So viel zum Thema investigativer Journalismus... Dazu kann ich eigentlich nur sagen: Ich übe mich nicht nur in Geduld sondern auch in Diplomatie. Aber ich habe wahrheitsgemäß geantwortet:
1. Das easy-going der Norweger
2. Da ich inzwischen drei Päckchen bekommen habe mit den Dingen die ich am allermeisten vermisse, und Freunde / Familie als Antwort laaaangweilig ist, fehlt mir insbesondere Obst und Gemüse mit Geschmack
3. Kein Kommentar, das könnt ihr gern Bruno fragen. (Mir ist dazu keine ausgewogene Antwort eingefallen.)

Nicht mal beim Mittagessen hatten wir unsere Ruhe. Da kam nämlich ein verrückter PhD-Holländer auf uns zu und fragte, ob wir der Wissenschaft dienlich sein wollen. Kleiner Lachanfall meinerseits, sodann die Konter-Frage: füllst du dafür meinen Fragebogen aus? Kleiner Lachanfall seinerseits, sodann Einverständnis. Also nahmen Katharina und ich am gaits-experiment teil. Erst dachte ich, es würde sich um Gates, Bill handeln, weil doch hier alle information security studieren. Doch man lernt nie aus: gaits = Gang. Wir sollten mit einem Mini-Messgerät am Gürtel also einen Flur auf- und ablaufen und anschließend versuchen, den Gang der jeweils anderen zu imitieren. Während Katharina und ich noch darüber diskutierten, was wir dabei alles beachten sollten um das Experiment (nicht) zu manipulieren, hatte uns der verrückte Holländer schon zugelabert und uns alles gaaanz ausführlich erklärt. Witzigerweise hatte ich gerade an diesem Tag morgens bei "scientific methodolgy" (wofür ich das Schlüsselexperiment mache) gelernt, wie man mit unterschiedlichen Verhaltensweisen (un-) bewusst seine Probanden beeinflussen kann. Naja, ich denke aber, dass das im Fall des gaits echt schwierig ist und wenn ich das richtig verstanden habe, ist das Ziel der Sache, herauszufinden ob damit irgendwelche Sicherheitsmechanismen gebastelt werden können. In meiner Eigenschaft als Labormaus glaube ich, dass sie das können - also haltet die Augen und Ohren offen, wenn ihr Bill trefft!

Zum Thema "Forschung" hätte ich des Weiteren zu ergänzen, dass meine Schlüsselumfrage ungeahnte Ausmaße angenommen hat. Immer noch kommen jeden Tag mails von wildfremden Menschen, die nur ein Drittel der Information meiner ursprünglichen E-Mail haben, trotzdem teilnehmen wollen und fragen, wofür das Ganze überhaupt sei. Zuletzt war das ein Hochschullehrer von der HdM in Stuttgart. Hola, die Waldfee. Ich habe mir mal die Website angesehen. In Baden Württemberg scheinen die Studenten etwas für ihre Studiengebühren geboten zu bekommen?! Was die dort an Technik rumstehen habe, entspricht sogar norwegischen Verhältnissen. Die Hochschule von Gjövik ist jedenfalls für ihr hochmodernes color-lab bekannt, in dem die abgefahrendsten Studien durchgeführt werden. Dagegen ist unser "little research project" ein Witz (haha). Andererseits sollen wir das laut Lehrer auch nicht so ernst nehmen. Ähm, wo bitte bleibt da der wissenschaftliche Anspruch? Ich glaube, der fällt der norwegischen Gemütlichkeit zu Opfer! Nur mein electronic-publishing Lehrer weicht diesbezüglich vom Kurs ab und fordert ALLES von mir...

Aber ich komme vom Thema ab, Katharina und ich haben uns nach getaner Arbeit einen Latte Macchiato und Kuchen geleistet. Irgendwas scheint da drin gewesen zu sein, denn erst fing Katharina an wie aufgezogen zu reden und dann habe ich (!) mit ihr die halbe Nacht durchgemacht, weil ich so aufgedreht war. Am Donnerstag sollte Debora ankommen und weil Katharina sie in Empfang nehmen sollte, hatten wir beschlossen, was zu kochen und zusammen zu warten. Das tiefgefrorene Wok-Gemüse werde ich nicht noch mal kaufen und die fettreduzierte Kokosmilch war auch gewöhnungsbedürftig. Dafür konnten das "diplom-is" (das norwegische Langnese) und der echte norwegische Ziegenkäse (sieht aus wie Karamell und schmeckt auch so) punkten. Doch das war sowieso nebensächlich, denn wir waren wie gesagt am gackern wie die Hühner, haben uns alte Geschichten erzählt und zusammen Deutschland vermisst. Wer hätte das gedacht?

Die Ankunft von Debora war dementsprechend so nebensächlich wie unspektakulär, denn sie war ungefähr drei Minuten in ihrem Zimmer und verschwand dann wieder, weil sie mit ihrem Vater (!), der sie von Italien aus begleitet hatte noch etwas essen gehen wollte. Irgendwann gesellte sich auch Florian zu uns, den wir als Deboras guide akquiriert hatten, weil er Italienisch sprechen kann. Doch auch das war nebensächlich, denn wir waren schwer damit beschäftigt Deutsch miteinander zu reden. Echt! Spätestens nach drei Wochen hat man einen Knacks und bekommt es nicht mehr gebacken zwischen den verschiedenen Sprachen zu wechseln und die passenden Worte zu finden.
Es war nach Mitternacht als Katharina aufbrach. Als ich meine Zähne putzte haben zum ersten Mal bekloppte und / oder besoffene Norweger bei mir geklingelt, denn es war ja Donnerstag. Da habe ich an die Paderborner Heiersstraße am Wochenende gedacht, wenn die britischen Soldaten aus ihrem Käfig gelassen werden und marodierend durch die Stadt wanken. Ergo: Heimatgefühle für Fortgeschrittene.

Auch sonst schreitet alles fort. Mein norwegisches Leben verläuft inzwischen in mehr oder weniger geregelten Bahnen und wird ab und zu von ankommenden Päckchen durchkreuzt. Die ermöglichen es mir immer an vernünftiges Brot zu kommen, weil die Poststation doch in so einem tollen Supermarkt liegt. Auch die schwarze Johannisbeermarmelade ist ein echtes Highlight und versüßt mir den Tag. Nun habe ich (fast) keinen Grund zum Klagen mehr und bin ganz zufrieden mit mir und der restlichen Welt. Das ist nach fast vier Wochen auch gut so!

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