Donnerstag, 8. Februar 2007

juwelen des winters

Liebe Schneeflöckchen,

wenn Ihr richtigen Winter haben wollt und nicht nur so pseudomäßig wie heute Nachmittag, dann verirrt Euch doch mal hierher, wo es seit zwei (!) Tagen ununterbrochen schneit und alles unter, hinter, zwischen Schnee verschwindet.
Gestern habe ich eine Flocken-Variante gesehen, die mich in Form und Größe an eine beliebte deutsche Süßigkeit erinnert hat. Sucht Euch was aus: Hanuta, Knoppers, irgendwas in der Kategorie. Wirklich wahr! Und nein: ich habe es noch nicht über. Weil das weiße Treiben wirklich sehr schön anzusehen ist. Zum Beispiel von der Bibo der Hochschule aus, wenn man so verpeilt wie verträumt den Blick nach draußen schweifen lässt. Auch die Temperaturen sind fast feierlich: -9, -11 u.ä. Grad - falls der Firefox-Forecast nicht wieder schwindelt. Aber offensichtlich und gefühlt ist hier tatsächlich und richtig Winter! Und gefühlt ist das auch nicht schlimm. Zumindest wenn ich mir so das Verhalten der Einheimischen ansehe. Keine Panik, stoische Ruhe bei der tausendsten Schippe voll Schnee, kein Genörgel, weil man mit dem Auto den Berg nicht hochkommt.

Allerdings ist Auto-fahren dementsprechend ein "cooles" Abenteuer, wie ich es in den vergangenen Tagen gleich mehrfach erleben durfte. Katharina durfte nämlich diese Woche das Auto von ihrem Freund leihen und wir wollten die Gelegenheit u.a. dazu nutzen, dem Lidl-Supermarkt einen Besuch abzustatten. Wer mich kennt, weiß, dass ich mich gewöhnlich weigere einkaufen zu fahren bzw. fahren sich auf mit-dem-Rad-fahren bezieht. Aber: Ich habe im Gegensatz zu den Hartgesottenen weder ein Fahrrad noch ein Fahrrad mit spikes (wie heißt das auf Deutsch?), außerdem ist das Ding echt am anderen Ende der Welt, es ist wie gesagt scheißkalt usw. Nur für den Fall, dass ich an dieser Stelle von irgendwo "Mädchen" höre! Aber was rechtfertige ich mich hier? Wir wollten einen Shopping-Trip machen ;-) Denn angeblich hat Lidl nicht nur deutsche Produkte im Angebot sondern soll auch ein bisschen billiger sein.

So ein bisschen Frustshoppen hatte ich mir verdient, denn ich habe das halbe Wochenende und Montag am Schreibtisch sowie den ganzen Dienstag lesend und recherchierend in der Bibo verbracht und musste dringend mal RAUS. Also ist Katharina abends mit dem Wagen vorgefahren und wir sind Richtung nirgendwo aufgebrochen. Ich hatte am Sonntag bei schönstem Frühlingswetter einen Spaziergang durch's Wohngebiet gemacht um mal das Ende der Strasse / die Spitze des Berges kennen zu lernen und Euch im Sommer mit tausenden Winterbildern erfreuen zu können. Doch außer Häusern und Straßen scheint es in der näheren Umgebung einfach nichts zu geben. Und inmitten von diesem Nichts in Gestalt einer dünn besiedelten Wohngegend steht Lidl, das natürlich bis 21 Uhr geöffnet hat. Außer uns waren eine Kassiererin, ein Regalbestücker, drei gescheiterte Existenzen plus Kindern da. Wir waren also quasi allein im Schlaraffenland. Naja, fast. Denn wie in Deutschland auch ist die Auswahl nicht sooo groß und ein wenig an die norwegischen Ernährungsgewohnheiten angepasst. Also fünf Truhen mit Pizza, drei Truhen mit Eis, keine TK-Kräuter usw. Aber immerhin einige deutsche Dinge, deren norwegische Entsprechung es nicht gibt oder die ich bisher nicht gefunden habe. Ich hab also Frischkäse, ein paar Gewürze (Kümmel ist vermutlich zu deutsch?), TK-Kräuterbaguettes und ähnliches gekauft und mir außerdem den Luxus eines Topfes mit Zitronenmelisse zwecks Zimmerbegrünung geleistet.

Als wir wieder am Studenthjem ankamen standen sämtliche Hausbewohner sowie zwei Feuerwehrautos vor der Tür und ich sah meine Identität (Pass, Visa usw.) schon in den Flammen aufgehen. Doch dann erinnerte ich mich an den running-gag des Hauses, dass alle naselang der Feueralarm (made by Siemens) ausgelöst wird, weil eine vergessene Pizza flambiert wurde. Und da keiner von den Feuerwehrmännern mit angewinkelten Armen herum rannte, hoffte ich vor allem, dass diese schnell wieder abziehen damit ich nicht auch leichtbekleidet in der Kälte warten musste. Ist ja klar, dass ich in der folgenden Nacht vom Rasen über rote Ampeln geträumt habe?!

Gestern war dann mein "großer" Tag. Ich musste der Kurskoordinatorin beibringen, dass ich den Lektüre-Kurs in Media Knowledge nicht belegen werde ("too much work") und außerdem im all-mittwochs-stattfindenden Meeting mit Prof gestehen, dass ich es nicht geschafft hatte beide Texte zu lesen. Punkt 1 war kein Problem und wurde abgenickt. Punkt 2 erforderte gute Argumente. In englischer Sprache. Aus Rücksicht auf ähm Minderheiten hier in der deutschen Fassung: "Also, ich habe mich entschieden, nur den einen Text zu lesen, weil ich noch ein bisschen um das Thema herum recherchiert habe und mich das letzte Mal überfordert hat mit zwei Themen und Texten von denen ich noch nie etwas gehört habe. Aber ich habe einen Aufsatz von einem deutschen Informatik-Studenten über das Thema vom letzten Mal gefunden und finde, dass es eine inhaltlich und sprachlich schlechte Arbeit ist und ich habe den Anspruch, das für meinen Essay auf jeden Fall besser zu machen." Lachen. Dann Einverständnis und Zustimmung sowie ein Vortrag über Lernen im Allgemeinen, Informatiker im Besonderen und Schreiben für Fortgeschrittene. Wow, mir ist ein Stein vom Herz gefallen. Obendrein konnte ich auf alle seine Fragen, die er zum Text hatte antworten und bin zur Abwechslung statt deprimiert mal so richtig zufrieden gewesen, weil ich was verstanden hatte und die viele Arbeit sich gelohnt hatte. Aber ich soll natürlich weiterlesen - "User Attititudes Regarding a User-Adaptive eCommerce Web Site" - und nebenbei schon mal nach Literatur für meinen Essay suchen. Das wird jetzt irgendwas zwischen Usability, traditionellem Print-Layout und optimalem Desgin von Webseiten. Fragt nicht! Und fragt nicht mich!

Den Rest des Tages habe ich in der Bibo verbracht und mal damit angefangen die Unterlagen für Scientific Methodology durchzugehen. Dazu kann ich sagen, dass Wissenschaft anstrengend ist! Aber ich hatte zeitweise nette Gesellschaft und zwar einen Tunesier, der lange in Paris gelebt hat und dem ich 10-mal am Tag begegne (was evtl. daran liegt, dass die Uni sehr klein ist und er auch im Studentenhaus wohnt). Dieser hatte mir am Wochenende einen Teppich vermacht, den er übrig hatte und der sich sehr gut auf dem grünen Linoleum-Boden macht. Außerdem hat er mich einem irakischen Studenten vorgestellt, der erst mal wieder ein paar meiner Vorstellungen über Nahost über den Haufen geworfen hat, allein durch seine ruhige und zurückhaltende Art. Er hat mir weiterhin bestätigt, dass es viel billiger hier ist, ein Haus zu kaufen, statt ein Zimmer zu mieten. Das hatte mir auch schon unsere Patin Maria erzählt als sie mich in ihr Haus einlud und ich sie ganz ungläubig fragte, wie alt sie sei.

Auch meine Einbürgerungsbemühungen trugen inzwischen Früchte. Seit gestern kann ich dank des Norwegisch-Kurses sagen wie ich heiße, woher ich komme, welche Sprachen ich spreche ("litt norsk") und fragen, wie man etwas buchstabiert. Sehr brauchbar, weil Vieles anders geschrieben als gesprochen wird. Nicht schlecht für den Anfang! Hausaufgabe ist, einen willigen (also betrunkenen?) Norweger zu finden und diese Sätze zu üben. Das Gute ist ja, dass die sich am nächsten Tag nicht an dich erinnern und du das Spiel gleich mehrmals spielen kannst - sofern sie auf Ansprache reagieren, denn selbst das ist schon schwierig. Apropos Spiel: Gestern bewies sich außerdem, dass Gjövik ein echtes Nest ist, denn bei einer Partie Bowling mit allen ausländischen Studierenden traf ich meinen Mitbewohner Michael. Und das war nicht abgesprochen!

Außerdem irritiert mich die Art, wie ich Männer des Hauses "kennen lerne". Ich bin am Montag einen Stock höher gegangen, weil die Wände gewackelt haben und ich es mit "reden" versuchen wollte. Die Musik kam aus der hintersten Ecke und war nicht die, die ich mich zur Weißglut gebracht hatte, aber das habe ich erst später gemerkt. Es stand ein Paar Springerstiefel vor der Tür und aus dem Zimmer kam eine Art Musik, der ich die Adjektive "böse, dunkel, etc." zuschreiben würde. Auf mein Klopfen hin tat sich rein gar nichts. Also probierte ich es noch mal. Da öffnete sich eine Tür. Allerdings nicht die, an der ich geklopft hatte, sondern die von der Dusche. Daraus huschte ein halbnackter Norweger hervor, verschwand in in seinem Zimmer und sagte hinter der Tür stehend irgendwas zu mir. "Sorry?" "Ach, da kannst du einfach reingehen." "Nein, das denke ich nicht." Das wollte ich auch nicht. Erstens aus Höflichkeit und zweitens aus ähh Respekt. Wie gesagt, als ich wieder in meinem Zimmer merkte ich, dass der Musik-Stil ein anderer war und vermutlich von meiner Nachbarin kam, die in dem Apartment wohnt, das sich den Flur mit uns teilt. Jedenfalls habe ich den Typ gestern in der Cafeteria getroffen und er hat nur gegrinst. Immerhin! Wiedererkannt! Ohne Alkohol!
Und von wegen: öfters mal was neues. Der verrückte Holländer schrieb mir heute, dass ich noch mal bei seinem gaits-Experiment vorbeikommen soll, weil der Sensor letzte Woche technische Probleme hatte...Jungs und Technik...

Weiterhin offene Fragen:
Was macht der Typ über mir? In seinem Bett?
Schneit es auch morgen?
Was geht am Wochenende ab?
Warum gibt es jetzt schon Erdbeeren?

PS: Bevor ich heute in meinem Lieblingsbildungsradio gehört habe, dass es strafbar ist, Bilder aus dem Internet auf der eigenen page zu veröffentlichen habe ich zur Illustration meiner Ausführungen Bilder von Schneeflocken für Euch gesucht. Dabei bin ich auf die "Juwelen des Winters" gestoßen. Also nicht wundern... Aber irgendwie passt es ja auch?!

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