Montag, 16. April 2007

mein zweiter frühling

Liebe Mitschnakker,

eigentlich bezweifle ich, dass sich die letzten drei Tage in Worte oder Bilder fassen lassen. Es wird NIE das selbe sein, wie mittendrin und live dabei zu sein! Da so mancher aber doch auf einen Bericht wartet, starte ich einen Versuch um Euch wenigstens einen kleinen Eindruck von der großen Reise zu geben.

Trotz unterschiedlichster Wettervorhersagen und den unkenden Einheimischen ("in Bergen regnet es immer") hatten wir drei Tage lang Sonne und frühlingshaftes Wetter. Überall außerhalb von Gjøvik ist es schon wesentlich grüner, insbesondere in der Küstenregion, und alles wirkt aufgeräumt und rein auch ohne das Weiß. Während hier nach dem Schnee der Schmutz und Müll des letzten Jahres am Straßenrand zu Tage kam, waren alle anderen Regionen offensichtlich schneller und haben sich schon auf den Frühling vorbereitet. Während hier die Bäume gerade anfangen zartes Grün zu entwickeln, grünt und blüht es in Bergen schon in voller Pracht.

Die Bergenser wissen auch wirklich, wie man eine Stadt "herausputzt". Überall gibt es kleine Ruhezonen mit Bänken und Begrünung sowie Häuser / Gassen mit Blumentöpfen und Grünflächen vor der Tür. Die Stadt selbst besteht aus vielen kleinen und großen Holzhäusern, liegt an einem Fjord und ist wie gesagt von sieben Bergen umgeben. (Damit keine Missverständnisse aufkommen: Berg = fjell auf Norwegisch). Obwohl Bergen mit ca. 240 000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Norwegens ist, wirkt sie angenehm unhektisch und scheint durch die Fjord-Lage trotzdem weltoffen und lebendig zu sein. In dieser Hinsicht hat das Tourismus-Office also nicht zu viel versprochen!

Auch auf dem Weg nach Bergen gab es einiges zu sehen. Zwar habe ich am Freitag mangels ausreichender Nachtruhe und angesichts der frühen Tageszeit kaum die Augen aufbekommen und das Meiste durften wir nur vom Bus aus bewundern, aber was ich zu sehen bekam, war einfach wunderbar.
Das wahre Norwegen: schneebedeckte Berge, wassergefüllte Täler und Schluchten mit einzelnen Häuschen hier und da, massig Wasserfälle, sowie enge Straßen, die fortwährend an Bächen und Seen entlang führten. Immer wenn man dachte, dass das Tal zu Ende ist und der Bus um die nächste Felsecke bot, kam ein weiteres Tal zum Vorschein mit einem noch größeren See, einem noch längeren und breiteren Bach oder noch mehr Häusern, obwohl man keine vermuten würde, weil dort weit und breit nichts außer Natur war...

Nachdem wir am späten Nachmittag unsere Taschen im Youth-Hostel abgestellt hatten und die Zimmerverteilung geklärt war (ich habe mir ein Vierbettzimmer mit Vilma und Debora geteilt), sind wir in die Innenstadt gefahren, um mit einer Mischung aus Seil- und Straßenbahn = Standseilbahn auf einen der Berge (Fløyen, 320 m) zu fahren. Dieses Verkehrsmittel wird - zu meiner Überraschung - nicht nur von Touristen genutzt, sondern auch von Einheimischen, die am und auf dem Berg wohnen.
Das ist ganz faszinierend in Norwegen: statt in die Länge wird in die Höhe gebaut, so sind zum Beispiel auch die Hänge rund um Gjøvik mit Häusern zugebaut. Der Blick vom Berg herunter war einmalig. Ein Gefühl wie "die Welt liegt uns zu Füssen". Als wir wieder festen Boden unter den Füssen hatten, holte uns die Realität aber ganz schnell wieder ein. Statt dem angekündigten Sightseeing-Programm waren wir plötzlich auf uns allein gestellt - ohne zu wissen, wo wir waren, wo die Jugendherberge ist, oder wie wir dahin zurück kommen.

Von diesem Moment an, fingen die "Organisation", die keine war, und die fehlende Weitergabe von Informationen an zu nerven. Zugegeben, das ist bei über 50 Leute auch etwas schwierig, aber ist es zu viel verlangt, ein bisschen für ALLE mitzudenken? Die Studierenden aus Gjøvik kamen sich infolge dessen das ganze WE vor wie das Anhängsel der Lillehammer-Leute, die erstens mehr waren, zweitens 100 % mehr Amerikaneranteil hatten und deren Buddies diesen Trip auch geplant hatten. Von unseren Buddies war niemand mit, so dass wir der Verantwortung der beiden Hauptakteure mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert waren.

Samstag war do-it-yourself day und das war auch gut so, auf diese Weise konnten wir in aller Ruhe die Stadt entdecken. Erst waren wir in einer größeren Gruppe mit allen aus Gjøvik unterwegs und haben Halt auf dem Fischmarkt, im Hafen, in der Weltkulturerbe-Altstadt Bryggen (Bergens älteste Besiedlung, errichtet im Mittelalter von den Hanseaten - komplett aus Holz) und an der Håkonshallen (zwischen 1247 und 1261 als das grösste und stattlichste Gebäude im Königshof errichtet) gemacht.

Dann bin ich mit den dänischen Mädels Katrine und Sofie allein weitergezogen - durch die Innenstadt zum Theater und diversen Kirchen, dem botanischen Garten und der Uni, zum Festplassen. Nach einem Zwischenstop for lunch and coffee ging's ins Aquarium. [www.akvariet.no]

Im ersten Moment kam mir das mini vor. Im Außengelände gab es neben einem Teich drei Außenbecken. Das Gute daran: sie hatten Fenster, durch die man Pinguine und zwei Baby-Robben unter Wasser sehen konnte. Ich habe mich scheckig gelacht... Die Fütterung war weit weniger spektakulär. Der Wärter musste den Pinguinen die Heringe quasi in den Hals stopfen.

Im Innengebäude gab es noch viel mehr zu sehen. Natürlich jede Menge Aquarien zu unterschiedlichen Themengebieten, u.a. eins, in dem ein Heringsschwarm immer im Kreis geschwommen ist, aber auch Becken in dem man Meerwasserbewohner anfassen konnte. Außerdem gab es eine Tropenabteilung mit Krokodilen, Kaimanen und Schlangen - durch die sind wir aber in Mädchen-Manier quasi nur durchgerannt - und im 3-D-Kino gab es einen "Aufklärungsfilm" über das Kongodelta. Insgesamt wurde das Thema Umweltschutz sehr forciert und an verschiedenen Stellen mit verschiedenen Mitteln darauf hingewiesen. Es gab zum Beispiel ein Aquarium, das "Unter Bryggen" hieß und voll war mit Müll. Das hat mein zweifelndes Gewissen, ob ein Besuch im Aquarium p.c. ist, etwas besänftigt.

Abends haben sich alle in einem mongolischen Restaurant getroffen - aber nicht zusammen gegessen. Als wir (pünktlich 19 Uhr) ankamen, hatten die Lillehammers schon geordert und als wir unser Essen bekamen, gingen die ersten bereits. Bruno wollten einen Discount aushandeln, weil wir über eine Stunde auf unser Essen gewartet haben, aber die Bedienung meinte, die Organisatoren hätten gesagt, wir würden alle Buffet (20 €) essen, deshalb waren sie nicht darauf vorbereitet, für so viele Menschen extra Menüs (12 €) zu kochen. Menü heißt in diesem Fall übrigens, dass man ankreuzt, welche Zutaten man gebraten bekommen möchte, das wird alles zusammen in die Pfanne geschmissen und anschließend mit Reis serviert.

Sonntag gegen 10 hieß es Abschied nehmen. Der Busfahrer meinte es gut mit uns, nahm auf dem Rückweg eine andere Strecke und hielt an einem weiteren Tourismuspunkt, dem Sognefjorden, einer Station der Flåmsbana [www.visitflam.com]. Wenn die Hurtigroute die schönste Seereise ist, dann ist die Flåmroute die schönste Zugreise...
Ich zitiere: "Tauchen Sie in einige der aufregendsten Kontraste zwischen Fjorden und Gebirge ein, von malerischer Landschaft zum tiefsten Ende des Sognefjord, steile Berge hinauf, an den schäumenden Wasserfällen vorbei, zu steilen, schneebedeckten Bergen." Auch hier kann ich bestätigen, dass die Tourismusleute nicht untertreiben. Ich kann nur hoffen, dass die Bilder der Anderen "was geworden sind", dann bekommt Ihr wenigstens einen kleinen Eindruck vom Ausmaß der Dimensionen zu sehen. Wie gesagt, beschreiben lässt sich das eigentlich nicht.

Am Ende wäre ich fast doch noch seekrank geworden, denn wir sind die Berge hinaufgefahren und durch meterhohe Schneefelder und Eisseen (menschenleer, aber egal wie weit weg von der Zivilisation überall noch kleine cabins) und hoppelige Straßen gen Heimat gegurkt (Durchschnittsgeschwindigkeit 60 km/h).

Außerdem sollte ich erwähnen, dass durch Norwegen zu reisen heißt, eine Menge Tunnel zu passieren, u.a. sind wir durch den längsten Strassentunnel der Welt (Lærdalstunnel) gefahren - fast 25 km Dunkelheit und anschließend gleißendes Licht, danach ist man halb blind! Doch ich habe es überlebt: geschafft aber froh! Und ich bereue nichts...

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